Filmpreis ROLAND an ARD-Mehrteiler „Das Geheimnis des Totenwaldes“ und Nicholas Ofczarek verliehen

Am 16. Oktober 2022 in Artikel


v.l.n.r.: Maren Knieling, Produzentin; Silke Bodenbender, Schauspielerin; Diana Schulte-Kellinghaus, NDR; Marc Conrad, CONRADFILM; Lucia Staubach, Bavaria Fiction Foto: Alwin Ixfeld

Das Geheimnis des Totenwaldes. Laudatio zur Verleihung des ROLAND-Filmpreises bei „Tatort Eifel“ am 24.09.2022

Vorgetragen von Barbara Philipp

Der Mehrteiler „Das Geheimnis des Totenwaldes“ von NDR und ARD Degeto, der einen wahren, spektakulären Mordfall Ende der Achtzigerjahre in Niedersachsen fiktiv aufarbeitet und gleichzeitig ein Stück deutschen Zeitgeists miterzählt, ist für uns ein Ausnahmeprojekt im Genre Krimi, in dem alle Gewerke Spitzenleistungen erbracht haben.

Die Göhrde-Morde an der niedersächsisch deutsch deutschen Grenze, die fast 30 Jahre lang nicht aufgeklärt werden konnten, geben bis heute noch ungeahnte Rätsel auf. Drehbuchautor Stefan Kolditz hat mit der Unterstützung des real existierenden Kommissars Wolfgang Sielaff diesen Fall rekonstruiert, ihn „frei nach wahren Begebenheiten“ dramatisch zugespitzt und mit fiktiven Elementen und Personen angereichert.

Im Mittelpunkt steht – in Anlehnung an Sielaff – der Polizeipräsident Thomas Bethge, genial verkörpert von Matthias Brandt, den der Fall über Jahrzehnte zermürbt und nicht loslässt.

Das Drama der Hinterbliebenen und die aussichtslosen Ermittlungserfolge werden so spannend miteinander verwoben, dass es die Zuschauenden über 270 Minuten lang in seinen Bann zieht. Regisseur Sven Bohse gelingt es mühelos, eine Zeitspanne von knapp 30 Jahren abzudecken, ohne die manchmal triste und desillusionierende Polizeiarbeit zu beschönigen oder das hoffnungslose Ausharren der Angehörigen mit konstruierten Wendungen aufzupeppen. Ernsthaft und mit leiser Empathie wird uns die persönliche Geschichte einiger Charaktere glaubhaft nahegebracht, die die Suche nach der Wahrheit nicht aufgeben wollten und entgegen aller Bürokratie und von männlicher Sturheit und Käuflichkeit geprägten Versagens ihr Ziel erreichen.

Zur stillen Heldin wird die mädchenhaft wirkende fiktive Jungkommissarin Anne Bach, verkörpert von Karoline Schuch. Anfangs noch als naiv und übereifrig belächelt, macht sie nicht nur einen optischen Wandel zur souveränen, einzig durchsetzungsfähigen Beamtin durch. Den gegen Ende von der Staatsanwältin beinahe ehrfürchtigen Kommentar „Jetzt benehmen Sie sich wie ein Mann.“ kontert Anne so ehrlich wie fatalistisch: „Einzige Chance hier was zu bekommen!“ Dass ihre verbissene Arbeit die Ermittlerin in einer Männerdomäne einsam gemacht haben könnte, wird vor allem durch Auslassungen erzählt, ebenso wie Ihre Liebesgeschichte zu dem in seiner Männlichkeit so manches Mal in Frage gestellten Kommissar Jan Gerke, gespielt von August Wittgenstein.

„Das Geheimnis des Totenwaldes“ ist kein Heldenepos, keine laute Emanzipationsgeschichte, sondern ein feinsinnig gesponnenes Geflecht, das einen wahren Fall in seine gesellschaftspolitische Situation einordnet. Die Inszenierung bleibt dabei so distanziert wie möglich, um dem Anspruch nach Realität zu genügen. Subtil eingesetzte dramatische Szenen zwischen den Hinterbliebenen des Entführungsopfers treffen dann gekonnt ins Mark der Zuschauenden. Da ist der von Alpträumen geplagte Kommissar Bethge, der seine Schwester verlor; seine Mutter, gespielt von Hildegard Schmahl, die ihre Tochter beweint und die Hoffnung auf eine Wiederkehr nicht sterben lassen will. Da ist der beschuldigte Ehegatte der Vermissten, gespielt von Nicholas Ofczarek, der zu Beginn wie ein Draufgänger und Ehebrecher wirkt, um am Ende eine der gebrochensten Figuren zu sein, mit denen man Mitleid empfindet, nicht nur, weil sein eigenes Leben zerstört wurde, sondern weil seine Tochter nach dem Verbrechen ihren Platz im Leben gar nicht erst gefunden hat.

Und über allem schwebt das Opfer, die labile Barbara Neder, mit jugendlichem Charme und Leichtsinn verkörpert durch Silke Bodenbender, deren klingelndes Lachen dem Zuschauer zwischenzeitlich immer wieder in Erinnerung ruft, welches Leben hier zerstört wurde. Und das, während der von Hanno Koffler aalglatt gespielte Traumschwiegersohn ungehindert seine kleine Parallelwelt, die er mit faschistoider Diktatorenart beherrscht, aufrecht erhält.

Dieses Grauen, das unter der unscheinbaren Fassade lauert, stellt den wahren Thrill von „Das Geheimnis des Totenwaldes“ dar. Effektheischende Einstellungen vermeidend, trägt auch die Bildgestaltung von Michael Schreitel zur klugen und sensiblen Inszenierung bei. Kongenial begleitet vom Komponisten Travis Stewart, dessen Score zwischen zurückhaltender Untermalung und nervös treibenden, den Thriller unterstreichenden Musikelementen, hin und her wechselt.

Mit dokumentarischem Realismus und großer Liebe zum Detail, überzeugen vor allem die Gewerke Kostüm und Maske. Aus gutem Grund erhielt der Mehrteiler den Deutschen Fernsehpreis für die beste Ausstattung für Oliver Hoese (Szenenbild), Maria Schicker (Kostüm), Jeanette Latzelsberger und Gregor Eckstein (Maske).

Unzählige Preise und Nominierungen auf der ganzen Welt kamen in den letzten beiden Jahren hinzu, zu denen sich jetzt auch, thematisch passend, ein Rabe – wie einem düsteren Wald entflogen –gesellt: der ROLAND-Filmpreis 2022 geht an die Produktion von ConradFilm und Bavaria Fiction für „Das Geheimnis des Totenwaldes.